Erfahren Sie alles über die Entwicklung Gerstruben bis 1953
Das Bergdorflein Gerstruben, 1.154 m hoch im Gemeindegebiet Oberstdorf gelegen, bestand Ende des 19. Jahrhunderts aus einer Haufensiedlung mit 10 Häusern und einer Einöde, durch den Dietersbach von dieser getrennt. Die 11 Familien, die dort von der Viehwirtschaft lebten, hatten im Laufe der vergangenen Jahrhunderte ein kärgliches Leben. Sie mußten dem wenigen, in der Nähe der Anwesen liegenden, vom Wald und Lawineneingängen gerodeten Boden, sowie den steilen, sogenannten Berghoibaten, die in der Dorfflur lagen, aber mit Vieh nicht beweidet werden konnten, durch intensive Benutzung und Instandhaltung der Flächen, den kargen Lebensunterhalt abringen. Das Gleiche war der Fall für die Bewohner des angrenzenden Traufbachtales mit der Siedlung Spielmannsau. Die Bewohner dieser beiden Täler gehörten einst gerichtlich zur Pflege Ernberg bei Reutte im Lechtal, kirchlich aber zur Pfarrei Oberstdorf. Dieser Umstand wurde für Traufberg und Spielmannsau mit dem Anschluß an das Königreich Bayern, bzw. mit dem Grenzregulierungsvertrag von 1844 beendet.
Für Gerstruben scheint dieser Zustand nach dem Bauernaufstand 1525 beendet worden zu sein, denn laut der hochstiftischen Steuerbeschreibung für Gerstruben 1544, werden sämtliche Gerstruber als hochstiftische Steuerzahler angeführt. Sämtliche Traufberger jedoch nur als Bewohner des Traufberges erwähnt. (Zirkel S.9O/91).
Im Jahre 1520 erscheint noch ein Konrad Hindelang, -Ammann in der Gerstrubi, Gewaltiger von der Herrschaft Ernberg, als Vogt und Gerhab der Anna Schnaiterin, Stoffel Hubers verlassene Wittib* – in der Spielmannsau. Dieser Konrad Hündälang wird jener Konrad Hindelang gewesen sein, von dem 1535 berichtet wird, daß er wegen Wildfrevels vor das Montforter Gericht gezogen wurde. Ab der Mitte des 15. Jahrhunderts befanden sich auf Gerstruben eingewanderte Walser-Familien, deren Nachkommen bis zum Verkauf von Gerstruben im Jahr 1892 dort wohnten. An der Bauart der Häuser (sogenannte Zwiehöfe) Wohnhaus und Ställe getrennt, ist Walsereinfluß zu erkennen. Besonders die Häuser Nr. 2 und 4, in den Jahren 1619 und 1626 vermutlich auf älteren Hofstätten erbaut, sind typische Walserkonstruktionen.
Von der im Jahre 1634 wütenden Pestkrankheit, die in der Pfarrei Oberstdorf 700 Tote forderte, blieben die Einwohner von Gerstruben wie durch ein Wunder verschont.
Im Jahre 1846 errichteten die Gerstruber am Dietersbach eine Sägmühle zum Schneiden von Brettern und Bohlen. Bisher mußten Bretter entweder von den Oberstdorfer Sägmühlen geschnitten, mit Fuhrwerk nach Dietersberg gefahren und von dort nach Gerstruben getragen werden, da nur ein Weg für Zweiradkarren, mit teilweise 30% Steigung vorhanden war. Im Jahre 1866 stellten die Gerstruber bei der Marktgemeinde Oberstdorf den Antrag auf Änderung der Trassenführung des Zufahrtsweges von Dietersberg nach Gerstruben. 1882 konnte von der Gemeinde ein Zuschuß von 700 Mark erhalten werden. Die Kosten der Grundstückserwerbung und sonstigen Arbeiten trugen die 7 damaligen Anwesensbesitzer gemeinsam. Die Einöde Raut war daran nicht beteiligt, weil ein Anschluß an diesen Gemeindeverbindungsweg damals nicht realisierbar war. Der Kostenvoranschlag 1866 betrug 1.985 fl. = 3.495,60 Mark in Markwährung. Im Jahre 1892 verkauften die Gerstruber ihre 8 noch bestehenden Anwesen an 3 Bürger von Kempten, welche zur elektrischen Stromerzeugung mit Anlage eines Staubeckens das Gefälle des Dietersbaches im Hölltobel nutzen wollten. Nachdem dieses Vorhaben sich nicht verwirklichen ließ, verkauften dieselben das erworbene Gebiet im Ausmaß von 500 ha an Freiherrn von Heyl aus Worms. Derselbe erwarb noch beträchtlichen Alpbesitz von Oberstdorfer Bauern hinzu, sodaß er um 1920 ein Eigen-Jagdrevier von ca.2600 ha besaß. Die Erbin des von Heylschen Besitzes, Freifrau Annuelie von Heyl zu Hernsheim, verkaufte mit Vertrag vom 7. Mai 1953 ihren ganzen, in der Gemarkung Oberstdorf liegenden Grundbesitz an den Verein der ehemaligen Rechtler der Ortsgemeinde Oberstdorf. Den Erwerbern war klar, daß der Übergang des genannten Besitzes keine Spekulation werden kann, sondern daß die alten Siedlungen Gerstruben, Traufberg, Spielmannsau mit Alpen, Waldungen und Berggipfeln dem Zugriff des Großkapitals entzogen wurden und von den Nachkommen der Alt-Oberstdorfer Familien wieder in Besitz und unter Bewirtschaftung genommen wurden.
Die im ehemaligen Bergdörflein Gerstruben befindlichen Häuser Nr. 2, 4, 6, 7 und die am Dietersbach liegende, oben beschriebene Sägmühle wurden mit Einwilligung der Eigentümer unter Denkmalsschutz gestellt.
Diese Häuser mit den Wirtschaftsgebäuden wurden in der Zeit von Ende 1975 bis 1982 durch bedeutende Zuschüsse des Bayerischen Landesamtes für Denkmalspflege, des Bezirkstages, des Landratsamtes Oberallgäu, der Marktgemeinde Oberstdorf und durch Eigenmittel und Eigenleistungen des Vereins der ehemaligen Rechtler in verhaltungswürdigen Zustand versetzt.
Des Weiteren wurde auch die in den Jahren 1846/47 südöstlich am Dietersbache von den damaligen Gerstruber Anwesensbesitzern gemeinschaftlich erbaute Sägmühle renoviert, der alte Mechanismus mit Wasserantrieb ohne Wasserrad, nur mit auswechselbaren, in eine liegende, 30 cm starke, hölzerne Welle eingesteckten Schaufeln wieder in Gang gesetzt.
An den Häusern wurden Dachreparaturen vorgenommen, desgleichen auch an den Umfassungswänden. Diese Arbeiten haben einheimische Mächler (Handwerker) ausgeführt, unter strengster Beachtung der bisherigen Machart. Diesen genannten Mächlern lag auch ein persönliches Interesse und Empfinden für die Erhaltung des bisherigen Bauzustandes zugrunde.
Anton Berktold + Rankgasse 11 Oberstdorf
in „Denkmalschutz im Bergdorf Gerstruben“, Informationsmappe 1983